(Entnommen der Ausgabe 2/2005 der „Heimat Dortmund“, der Zeitschrift
des Historischen Vereins für Dortmund und die Grafschaft Mark e. V. in
Verbindung
mit dem Stadtarchiv Dortmund)


„Die Decke soll himmelblau und mit weißen
Sternen
verziert werden“

In den 1770er Jahren entstanden in rascher Folge rheinische und westfälische Logen, so 1778 in Münster, 1791 in Hamm, das folgende Jahr in Schwelm, 1796 in Iserlohn. Soest brauchte bis 1808, Lippstadt bis 1842, um in unserem Raum zu bleiben.

In Dortmund, dem Landstädtchen, dauerte die Logengründung zwar bis zur Industrialisierung, bis 1855. Aber Dortmund hatte durchaus schon Anfang des 19. Jahrhunderts Logenmitglieder in seinen Mauern.

1819 erschien das Büchlein „Maurer-Lieder“ von Friedrich Rautert, Logenmeister der Loge Zum Westphälischen Löwen in Schwelm. Dem Text sind 53 Seiten mit einer Subskribenten-Liste vorgeheftet. Hier finden wir bekannte Namen wie Carl Freiherr von Plettenberg gt. von Bodelschwingh (1765-1850), der schon 1785 Freimaurer wurde und seit 1791 Mitglied der Loge Zum hellen Licht in Hamm war, auch deren Meister vom Stuhl, und 1812-1830 Provinzial-Großmeister der Provinzial-Loge zwischen Weser und Rhein. Die Familie Pottgießer gehört dazu, Jahrhunderte hindurch Kaufleute in Dortmund: Caspar Heinrich Pottgießer handelte in englischen und sächsischen Manufakturwaren und wurde sicher auf einer Leipziger Messe 1805 Mitglied der Loge Balduin zur Linde ebendort (in derselben Loge, der 1836 der Politiker Robert Blum beitrat, der 1849 in Wien als Revolutionär standrechtlich erschossen wurde). Pottgießer gehörte später der Loge Zum westphälischen Löwen in Schwelm an, wie auch seine beiden Söhne.

Dortmunder Freimaurer waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Mitglieder der Logen in Hamm und Bochum, oder der mehrerwähnten Loge in Schwelm, wie z.B. Christian Ernst Riepe, Gastwirt im „Römischen Kaiser“ an der Brückstraße, der 28jährig vor seiner Tür 1817 zwischen zwei Karren erdrückt wurde; seine Witwe heiratete Heinrich Wilhelm Paxmann, der den „Römischen Kaiser“ übernahm; er gehörte selbst der Loge in Schwelm an und heiratete in 2. Ehe wohl die Tochter eines Freimaurers.

1855 hatte Hörde 5325 Einwohner, Dortmund um die 20.000. Ein Jahr vorher war der erste Hochofen im Dortmunder Raum angeblasen worden, nämlich beim Hörder Bergwerks- und Hüttenverein, und die Thier-Brauerei wurde gegründet. 1855: Die erste Arbeiterwohnsiedlung wurde in Neuasseln gebaut, Hörde wurde an das Eisenbahnnetz der Bergisch-Märkischen Bahn angeschlossen. Die Kgl. Bankkommanditie, die spätere Reichsbank, heutige Bundesbank wurde eingerichtet. Die Dortmunder Bergbau- und Hütten-AG mit der Zeche Hansa entstand. Im nächsten Jahr sollte es den ersten Bergarbeiterstreik geben, die Harpener AG wurde gegründet, die Telegraphenstation eröffnet, zwei Jahre später kam die Gasbeleuchtung, und in Hörde erschien zum ersten Mal das Hörder Volksblatt, das zuletzt 1955 das Mitglied der Loge zur alten Linde Dr. Gerhard May herausgab.

Wie man eine Loge gründet

Einige in Dortmund, Lünen, Hörde und Schwerte ansässige Freimaurer, Mitglieder verschiedener Logen, vorwiegend in Hamm, Bochum und Schwelm, trafen sich wohl seit dem Ende der 1840er Jahre hier, als Dortmund an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Der Bahnhof an der Köln-Mindener Eisenbahn wurde 1847 eröffnet, Dortmund hatte 10.000 Einwohner. Die Freimaurer trafen sich vermutlich im Gasthof, späteren Hotel Middendorf an der Brückstraße. Der Wirt Gustav Middendorf hatte zwei Onkel und einen Schwager, die Freimaurer waren. Er selbst wurde später in Dortmund aufgenommen.

Im Juni 1855 beschlossen die Brüder die Gründung einer Loge. Eine solche Gründung ist nicht unkompliziert. Es müssen sich mindestens neun Brüder finden, die Mitglieder bereits bestehender, „gerechter und vollkommener“ Logen sind, also ordnungsgemäß gegründeter und arbeitender Logen. Davon müssen mindestens sieben den Meistergrad haben, also den 3. Grad. Die Loge muss in ihren Statuten die althergebrachten Grundsätze der Freimaurerei im Allgemeinen anerkennen und die Rechtsordnung der Großloge, der sie sich anschließen will, im Besonderen. Nach der Gründung des Logenvereins richtet die Loge einen Antrag an die Großloge – die Dortmunder damals an die Große National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln in Berlin, eine der drei Großlogen, die das königliche Patent zur Ausübung der Freimaurerei in Preußen hatten. Die Großloge prüft die Gründung und erteilt der Loge ein Patent, mit dem sie sich als Mitglied der Großloge ausweisen kann.

Das Durchschnittsalter der Gründer ist 40 Jahre – viele waren also sehr jung (1905 war das Durchschnittsalter 50 Jahre, und es stieg in späterer Zeit noch an). 21 Gründer waren selbständig, 9 Beamte, davon zwei Lehrer. Die Kaufleute überwiegen, wie auch in der Folgezeit. Abwesend sind noch die leitenden Angestellten aus Bergbau und Hüttenwesen, was sich später änderte. Es fehlen die Behördenleiter (das blieb mit Ausnahmen so), und es fehlen die Dortmunder Patrizier. Nur vier der 36 Gründer haben Großväter, die Dortmunder Bürger waren. Weitere vier waren die Söhne nach Dortmund zugewanderter Väter. Die Pottgießers, aus alter Dortmunder Familie und freimaurerisch orientiert, blieben der Gründung fern.

Eine Scheune als erstes Logenhaus

Am 11. Juli 1855 unterschrieben der Posthalter Gisbert Wortmann und der Gastwirt Gustav Middendorf als Vermieter auf der einen Seite, der Fabrikant Carl Kappert, Kaufmann Valentin Seibert und Inspektor August Bergerhoff, diese drei „namens verschiedener, zur Gründung einer Loge am hiesigen Platze zusammengetretener Personen handelnd„, einen Mietvertrag auf zehn Jahre, in dem es heißt:

Wortmann vermiethet zur Benutzung einer Loge den zur Errichtung letzterer zusammen getretenen (…) Personen das bis jetzt zur Scheune benutzte Hintergebäude des Hauses No. 729 zu Dortmund am Friedhofe belegen, mit dem Eingange in der Neustadtstraße. (…) Vermiether verpflichtet sich, die Umfassungswände sämmtlich in Steinfachwerk umzuwandeln, nach Anleitung der Anmiether darin Fenster-Öffnungen anzubringen und das Dach einschmieren zu lassen.“

Die Gründer waren vorsichtige Männer:

Sollte indeß die zu errichtende Loge eingehen, dann haben die Anmiether das Recht, den gegenwärtigen Vertrag nach sechsmonatiger Kündigung gänzlich aufzuheben.“

Die Miete betrug jährlich „hundertfünfzig Thaler Preußisch Courant„. Weiter hieß es:

Der neben dem vermietheten Gebäude belegene Garten ist zur Mitbenutzung den Anmiethern mitverpachtet. Selbstredend erstreckt sich diese Mitbenutzung nur auf Spaziergänge respective gesellige Vergnügungen darin. Sollte Vermiether diesen Garten, sei es selbst, oder durch Andere zu gleichen Zwecken benutzen wollen, so kann dies nur dann geschehen, wenn Anmiether in dem Lokale nicht versammelt ist…

Bei allen Festen, welche die künftige Loge feiert, werden die Speisen und Getränke vom Mitcontrahenten Middendorf entnommen, der letztere verbindet sich dagegen

a) die Speisen zu einem zwischen ihm und ohne sein Zuthun von den Anmiethern deputierten zwei Personen zu vereinigenden Preise,

b) den Wein, welcher bis zu 15 Sgr auf der Karte seines Hôtels, einen S’groschen, allen übrigen Wein zwei Sgr. billiger, als der für die Bewohner Dortmunds übliche Tagespreis

zu verabreichen. Middendorf verbindet sich ferner, bei den geselligen Versammlungen, deren Bestimmung den Anmiethern überlassen bleibt, auch Bier zu den in Dortmund üblichen Preisen zu geben.“

Ein Bild des recht unscheinbaren Logenhauses hat sich nicht erhalten. Auf einem Bild etwa aus den 1880er Jahren sieht man in der Mitte das Haus Friedhof 2, an dessen Platz später das Café Metropol stand, heute ein Geschäftshaus. Links davon ist eine Schluse, ein Abflussgraben. Rechts beginnt die Reinoldistraße; 1855 hieß sie „Neustadt“ und war eine Sackgasse. An der Ecke Stubengasse und Brückstraße betrieb der Kaufmann Herzfeld eine Talgschmelze. Wenn sie in Betrieb war, verbreitete sie einen infernalischen Gestank, und Passanten rannten mit zugehaltener Nase vorbei. Auf der westlichen Seite der Neustadt lag an ihrem Ende ein großer Dunghaufen. Hinter dem Haus Friedhof 2, und zwar auf dem heutigen Grundstück Reinoldistr. 6, stand die Scheune, die Gegenstand des Mietvertrags war. Karl Prümer schildert in den 1920er Jahren: Im Haus Friedhof 2 wohnte zu Zeiten der Arzt Dr. Ludwig Ruhfus, der seine Praxis in der Stadt, aber auch auf dem Land, am Hellweg, hatte. Das Pferd, das er für seine Landbesuche hielt, stellte er in seiner Scheune unter; der Ruhfus’sche Garten umfasste mit einer Mauer diese Scheune und den schon erwähnten „Düngerfall“, der ein Hauptspielplatz für die städtische Jugend war; „diese Jugend war noch nicht verwöhnt„, schreibt Prümer.

Middendorf betrieb sein Hotel in der Brückstraße Nr. 10, schräg gegenüber von der Ecke Brückstraße/Friedhof.

Der Tempel

Im Antrag an die Große National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln beschrieben die Gründer die Logenräume.

Wie aus der Planzeichnung des Gebäudes ersichtlich, hat das Logenhaus in [Raum] I 30 Fuß Tiefe und 22 ½ Fuß Breite, in [Raum] III circa 13′ Breite und 18′ Tiefe. Dem Eingangsflur in I gegenüber soll der Sitz des Meisters vom Stuhl in einer Nische an­gebracht werden, so jedoch, dass hinter demselben diese Nische eine Bank erhält… Seitwärts der Nische kommen dann selbstredend die Sitze des Secretairs und Redners auf einem Empor, wohin vor den Altar drei Stufen führen.

An beiden Seiten des übrigen Lokales sollen zwei Reihen Bänke angebracht werden um gestattlich des Raumes, wenn nöthig, noch auf jede Seite eine Reihe Stühle zu stellen.

Die Decke soll himmelblau mit weißen Sternen verziert werden, die Wände mit weißen Pfeilern versehen und zwischen diesen Pfeilern sollen die Felder dunkelblau angestrichen werden…

Das Gebäude selbst, welches wir vorläufig gemiethet haben, aber ganz benutzen, liegt an einer neuen Straße mitten in der Stadt und diente bis zum Umbau zu einem Hintergebäude, respektive zur Scheune. Wie die Zeichnung angibt, wird dasselbe nicht bewohnt, indem wir keinen Kastellan haben, sondern Getränke und Speisen von dem ganz in der Nähe wohnenden Gastwirth vertragsmäßig in Küche und Keller unseres Gebäudes geliefert erhalten.

Die Deckung ist vollständig.“

Was hier zitiert wird, wurde sechzig Jahre lang verloren geglaubt. Das Archiv der Loge kam 1935 mit Hunderten anderer ins Gestapo-Archiv nach Berlin unter der Aufsicht des Reichssicherheitshauptamts. Im Krieg wurden die Bestände nach Schlesien ausgelagert, dort 1945 von der Roten Armee beschlagnahmt und nach Moskau gebracht. In den 50er Jahren gab die Sowjetunion große Teile des Archivmaterials an das Zentrale Staatsarchiv der DDR in Merseburg, wo es seit 1975 bearbeitet wurde. Seit 1994 liegt nun alles – ausgenommen die Personalakten – im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem.

Die Gründer fuhren in ihrer Beschreibung fort:

Die Zeichnung des Logensiegels und Mitgliedzeichens liegt bei und bringt nur die Ansicht einer Linde mit einem Tische, auf welchem Zirkel und Winkelmaß liegen. Letzteres ist eine Zugabe der stiftenden Bbr [=Brüder]., die Linde mit dem Tische hingegen ist ein Alterthum hiesiger Stadt. Die Linde steht dicht bei der Stadt, jetzt auf dem Bahnhofe der Bergisch-Märkischen Eisenbahn. Sie ist mehrere Jahrhunderte alt.

In der Regel wird wohl das Stadtwappen gewählt, das hiesige (von einer Krähe gebildet) wurde indes nicht beliebt, um so weniger, als der dazu gehörige Name Tremonia schon von Aktiengesellschaften angenommen wurde. Und da Jedem, welcher Dortmund kennt, die obige Linde nicht fremd ist, so wählten die stiftenden Bbr. dieselbe…

Das Mitgliedszeichen soll in der Weise angefertigt werden, daß das innere Sechseck mit der Linde geprägt und das Uebrige in Bronce gegossen wird; die Linde soll halb erhaben und nur auf einer Seite sichtbar sein, die Balken über das Sechseck hinaus, sowie der Bügel (längliches Auge zum Bande) werden freistehen und ganz blank sein.

Das Band ist einfach blau moirirt gewählt.“

Man beachte die „Krähe“ – in Wirklichkeit natürlich der Reichsadler im Wappen der Reichsstadt…

Die Loge benutzt noch heute dieses Mitgliedszeichen, auch „Bijou“ genannt, und ein ähnliches Siegel.

Das Licht kommt in die Loge

Die Gründungsversammlung der Loge fand am 10. Juni 1855 im Gasthof Middeldorf statt. Nach der Erledigung aller Formalitäten mit der Großloge zu den drei Weltkugeln, wurde mit der Gründungsurkunde vom 08. September 1855 die Loge zur alten Linde in Dortmund offiziell gegründet. Damit die Bauhütte ihre Arbeit aufnehmen konnte, muss noch das Licht in die Loge eingebracht werden – ganz wörtlich: eine brennende Kerze, die von außen in die dunkle Loge gebracht wird und an der die anderen Lichter entzündet werden. Das Licht ist, wie die meisten Symbole der Freimaurer, ein vieldeutiges Symbol. Es kann für den Geist stehen, den göttlichen Funken. Es kann die Erleuchtung der Welt durch die Vernunft bedeuten, die „lumières“ (Lichter), wie in Frankreich die Aufklärung bezeichnet wird („enlightenment“ = Erleuchtung im Englischen). Außerdem bedarf der Tempel zwar nicht der Weihe, denn es handelt sich nicht um einen Tempel im religiösen Sinn, aber doch einer feierlichen Einweihung durch die Großloge.

Am 18. November 1855 brachte der Meister vom Stuhl der Loge zu den 3 Rosenknospen in Bochum, Natorp, im Auftrag der Großen National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln das Licht in die Loge ein. Der Meister vom Stuhl, Heinrich Köppen, erklärte die Namenswahl der Loge:

Wir haben unsere Loge im historischen Rückblick Zur alten Linde genannt. Noch steht auf dem Weichbilde unserer Stadt die alte Fehmlinde, welche Jahrhunderte den Stürmen der Zeit Trotz geboten hat und in ihrem Bestehen das Andenken an jene Zeiten bewahrt, wo die rohe Gewalt nur durch gleiche Mittel bekämpft wurde, ja Weidenschlinge und Dolch das Schreckbild des Bösen waren [gemeint: für das Böse]. Sie steht da, für unsere Zeiten als ein Wahrzeichen des Fortschritts der Menschheit, auf der Bahn der Aufklärung, der Bildung und Humanität, das auch uns mahnt, fortwährend rüstig zu arbeiten an dem hehren Bau zur Beförderung sittlicher und geistiger Wandlung des Menschengeschlechtes. Und wenn der Zahn der Zeit jene morschen Überreste eines rohen Zeitalters vielleicht bald zerstört, dann möge die Loge Zur alten Linde als Wahrzeichen unseres edlen Strebens noch bis in die fernsten Zeiten in blühender Kraft fortbestehen.“

Der feierlichen Einweihung des Logenhauses, die unter Einschluss vieler Reden sicher zwei Stunden dauerte, schloss sich eine Tafelloge an. Das ist ein Mahl der Brüder, das wie das Zeremoniell im Tempel „gedeckt“, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit, abläuft. Es ist durch manche liebenswerten, nicht unbedingt sehr bedeutenden Äußerlichkeiten gekennzeichnet. Vor allem gehören dazu die Toasts, die Trinksprüche, die der Meister vom Stuhl auf das Vaterland, die Großloge, die Gäste usw. ausbringen lässt. So sah die Speisekarte zur Tafelloge aus:

1) Austern

Toast dem König & dem Protector (Köppen)

2) Bouillonsuppe mit Klöße

Nat.Mutt.Loge, Brüder Directorium & Natorp (Bergerhoff)

3) Rindfleisch mit 2 Beilagen

Dank für die Nat.Mutter Loge etc. (Natorp)

4) Seefisch mit Kartoffeln Schellfisch

Deputationen u. besuchende Brdr (Ruhfus)

5) Sauerkraut & Kohl mit Carstangen mit Braten auß Rolladen & Zunge

Dank der besuchenden Brüder (N.N.)

6) Fischsalat oder Schwarzwild auf Sauce

Die Schwestern (Ruetz)

Schrutenbraten & Coupolles

Dank für die Schwestern (Kopfermann)

7) Plumpudding

Mus. Brdr Comité (Fallenstein)

8) Rehbraten und Salat

Dank der mus. Br. etc. (Rick Hufschmidt)

9) Kuchen Obst & Desert

Den Armen etc. (Köppen)

Die ersten zehn Jahre

Die Stadt lag in den folgenden Jahren in den Wehen des Umbruchs. Waren die 1850er Jahre Gründerjahre gewesen, eine Zeit schnellen Aufbaus und schnellen Reichtums, setzte die wirtschaftliche Krise schon Ende der 50er ein. Erst 1869 kam ein neuer Aufschwung, nun allerdings um so stärker und schneller, der bis 1874 dauerte. In der Stadt, oder besser: vor ihren Toren, bildeten sich Slums für die Arbeiter. Die tiefliegenden Gebiete im Norden und Westen wurden völlig regellos, ohne Planung, ohne jede Erschließung bebaut. Aus dieser Zeit stammt die „Krim“, so benannt nach dem Krieg 1854-56, und deshalb naheliegend, weil der Kuckelke-Mühlenteich „das schwarze Meer“ genannt wurde, weil die Abwässer ihn so färbten. Dortmund hatte eine Sterblichkeitsrate von 35,5 o/oo, das war die höchste in Rheinland-Westfalen, möglicherweise im Reich. 1866 starben in Hörde 300 Menschen an der Cholera.

Erst in den 70er Jahren sorgte der Magistrat für Besserung. 1871 kam eine Bau- und Straßenpolizeiordnung, 1873 das Wasserwerk, 1881 wurde mit der Kanalisation der Stadt begonnen und die erste Straßenbahnlinie (vom Steinplatz zum Fredenbaum) gebaut. Übrigens gab es 1883 den ersten Telefonanschluss.

1867 hatte Dortmund über 33.000 Einwohner, 1875 über 57.000, 1885 über 78.000, Hörde über 14.000.

Die Zahl der Logenmitglieder stieg nicht übermäßig schnell, aber doch beachtlich. Bis 1864 hatte die Loge 94 ordentliche Mitglieder. Der Deputierte (stellvertretende) Meister vom Stuhl versandte in diesem Jahr ein „Circular“:

Seit längerer Zeit ist unsere Loge z.a.L. sehr schwach besucht. Wenn auch die politischen Bewegungen unserer Zeit viele Brr. Maurer zerstreut, und wenn auch die persönlichen Verhältnisse manchen Br. von unsrer Bauhütte fern gehalten haben; so ist doch nicht zu verkennen, daß die unangenehmen Logenräume hier in unserm Orient ganz besonders dazu beigetragen haben, daß der Besuch so äußerst gering war. Und in der That wird man wohl nicht leicht ein Logenhaus finden, dessen Gesellschaftszimmer solche Unannehmlichkeiten darbietet, wie es unglücklicherweise bei dem unsrigen der Fall ist.

Erstlich liegt es von dem Gasthause, aus welchem wir Speisen und Erfrischungen erhalten, etwa 100 Schritt entfernt, so daß die dienenden Brr. die Speisen über die Straße tragen müssen.

Ferner hat dasselbe nur von einer Seite Licht, nämlich nur durch 2 Fenster an der Nordseite, weshalb es feucht ist und bleiben wird.

Zwar stößt daran ein Garten, aber zu unserm Gebrauche ist er nicht viel werth, da rundum die Häuser dicht anstoßen und auch der Aufenthalt darin durch eine naheliegende Talgschmelze und Kerzenfabrik oft sehr unangenehm gemacht wird.

Diese Zustände haben denn auch in den letzten Jahren sehr lebhaft den Wunsch erregt, ein anderes Logenlokal zu besitzen.

Mit dem 1. October 1865 läuft nun der bisherige Miethvertrag zu Ende… Es ist also Zeit, Hand an’s Werk zu legen, wenn wir ernstlich danach streben, uns ein angenehmeres Lokal zu verschaffen, oder wenn wir wegen Mangel an einem Lokale nicht gar unsere Arbeiten suspendieren wollen; denn nochmals eine längere Miethperiode für dieses Lokal einzugehen, wird gewiß keinem der geliebten Brr. zusagen…

Die gel. Brr. unsrer Loge haben schon so häufig Gelegenheit genommen, das Gute und Schöne zu fördern; sie werden auch hier bereitwillig die Hand bieten, wo es heißt, unsere Bauhütte an einem anderen Orte zu errichten, welcher dem Aufschwunge zum Idealen nicht hinderlich, sondern förderlich ist!“

Die Loge kaufte 1865 das Flurstück 151, einen Teil des Mallinckrodt’schen Gartens an der Victoriastraße, von der Witwe Mallinckrodt für 5000 Taler.

Am 22. Mai 1865 wurde der Grundstein gelegt, in den eine Urkunde eingesenkt wurde mit folgendem Text:

Am heutigen Tage, den 22. Mai 1865 n. Chr. Geburt, als am Tage des 25jährigen Maurerjubiläums unseres erhabenen Protektors, Sr. Majestät Wilhelm I., Königs von Preußen, fand die feierliche Grundsteinlegung zu diesem neuen Logenhause in Gegenwart der unterzeichneten Bbr. statt.

Der Grundstein ist aus der alten Ringmauer unserer Stadt entnommen und durch die Bereitwilligkeit des zeitigen Oberbürgermeisters, Herrn Zahn, der Loge zum vorgenannten Zwecke zur Verfügung gestellt worden. Der Plan zu diesem neuen Logenhause ist von dem zeitigen Königl. Kreisbaumeister Br. Rich. Genzmer, der auch den Bau leitet, entworfen; die Ausführung hat der Br. Berth. Speer übernommen.

Möge der a.B.a.W. zum Gedeihen dieser neuen Bauhütte seinen dreifachen Segen geben.

So geschehen zu Dortmund am 22. Mai 1865″

Während des Baus tagte die Loge im Hotel Middendorf an der Brückstraße.

Am Sonntag, 3. Juni 1866, wurde das neue Logenhaus eröffnet. Meister vom Stuhl war Carl Metzmacher senior; unter seiner zehnjährigen Regierung stieg die Zahl der Mitglieder rasch auf 150 an.

Um- und Anbau

 1873 wurden ein neuer Bankettsaal und ein neuer Meistertempel angebaut, 1879 der Festsaal vergrößert. Die Zahl der Brüder stieg weiter. Metzmacher junior berichtet 1905:

Der Tempel war schon lange viel zu klein, bei mancher Arbeit fanden nicht alle erschienenen Br. Platz und mußten draußen bleiben. Bei Festlogen zumal saßen die Br. dichtgedrängt in fürchterlicher Enge und litten unter großer Hitze und dumpfer Luft. Auch der Festsaal war zu klein, die Hitze unerträglich. Sogar an den regelmäßigen Versammlungsabenden Donnerstags war der Tabakrauch und die dumpfe Luft so lästig, daß viele Br. erklärten, aus diesem Grunde den Logenbesuch einstellen zu müssen.“

So kam es zum Um- und Anbau, fast einem Neubau des Hauses, das nun die Gestalt annahm, die wir aus vielen Bildern kennen.

Metzmacher sagte bei seiner Rede zur Eröffnung und zum 50. Stiftungsfest am 8. Oktober 1905 weiter, zu finden im gedruckten Bericht der Loge über das Jubiläum:

Nicht ohne Wehmut mußten wir den alten, uns so liebgewordenen Tempel verlassen, die Stätte, an der die meisten von uns zuerst das maurerische Licht erblickten; doch der rasch emporwachsende Neubau gab uns Trost und die freudige Zuversicht, daß wir an den alten Stellen demnächst wieder behaglich uns einrichten und das Laubdach der alten Linde aufs neue grünen und blühen werde. Die alte historische Linde vor den Toren der Stadt hat leider dem Zahn der Zeit erliegen müssen, bei uns aber sollte frisches, neues Leben durch den Neubau geschaffen werden… Dank allen Brüdern, Dank dem Bundesdirektorium, Untertänigsten Dank auch Seiner Majestät, unserem allergnädigsten Kaiser, dem Sohne und Enkel unseres hochseligen Br. Protektoren, der geruht hat, uns zur heutigen Feier sein Bild mit eigenhändiger Unterschrift zu verleihen. Wir werden es stets als eine der vornehmsten Pflichten erkennen, treu zu Kaiser und Reich zu stehen und bestrebt zu bleiben, des Königs beste Untertanen zu heißen.“

Auch hier gab es natürlich eine Tafelloge, an der 273 Brüder teilnahmen.

Der große Tempel war im ägyptischen Stil ausgestattet. Bruder Sartori, Professor am Stadtgymnasium, erklärte den Damen beim Schwesternfest 1910:

Sie befinden sich hier in einem Raume, der nachgebildet ist einem ägyptischen Tempel, mit dem man gewohnt ist den Begriff des Mysteriums zu verbinden. Geheimnisvolle Zeichen blicken von der Wand, hohe Maurern und Säulen umgeben Sie, ein festgefügtes Gitter schließt Sie von der Außenwelt ab… Über Ihnen wölbt sich des Himmels gewaltiges Gewölbe, und der aufwärts gerichtete Blick verliert sich in den unermeßlichen Heeren der Sterne. Sehnend und suchend blicken wir nach oben. Was wir dort suchen? Die einen nennen es Gott, die andern nennen es das Ideal, alle aber zwingt dieser einzige Ausblick aus den sie umzäunenden Schranken hinauszuspähen in das Reich des Unermeßlichen, Grenzenlosen und Ewigen und hinter sich zu lassen das Gemeine, Beschränkte und Endliche.“

Axel Pohlmann

Quellen:

Archiv der Loge, im Geheimen Staatsarchiv Berlin, Bestand 5.2 D 26 Nr. 42
Gustav Luntowski u.a.: Geschichte der Stadt Dortmund. Dortmund 1994
Peter Koch: Geschichte der Johannis-Freimaurer-Loge „Zur alten Linde…“ Dortmund 1880
Robert von den Berken: Übersicht über die Geschichte der Loge „Zur alten Linde“ im Orient Dortmund. Dortmund 1930
Wilhelm Schleef: Hundert Jahre 1855-1955. Geschichte der Loge „Zur alten Linde“ in Dortmund. Dortmund 1955
Axel Pohlmann: Beiträge zur Geschichte der Loge „Zur alten Linde“ in Dortmund. Dortmund 1985
Karl Prümer: Bilder aus Alt-Dortmund. Dortmund 1925

Ansicht vom Haus Friedhof 2, hinter dem sich bis 1865 das erste Logenhaus befand
Freimaurerisches Liederbuch von 1919 mit einem historisch wertvollen Namensverzeichnis von Freimaurern im Rheinland und in Westfalen (Subskribenten).
Grundriss des Tempels von 1855
Das Logenbijou von 1855, das heute noch unverändert als Abzeichen der Loge Zur alten Linde getragen wird.
Das Logensiegel von 1855
Festgesänge zur Einweihung der Loge am 18. November 1855.
Ausschnitt der Speisekarte zur Tafelloge anlässlich der Einweihung der Loge am 18. November 1855.
Nach der Gründung der Loge Zur alten Linde erschien eine Dokumentation mit den Festansprachen.
Das erste eigene Logenhaus (eingeweiht 1865) lag an der Victoriastraße9, zwischen Rosenthal und Klettergasse, der heutigen Kleppingstraße.
Baugenehmigung 1865 des damaligen Oberbürgermeisters Zahn.
Das Logenhaus, wie es bis vor der Erweiterung 1905 aussah.
Tuschezeichnung des Logenhauses von 1905 (Erweiterung und Umbau) mit JugendstilDekor
Mitgliederverzeichnis von 1890/91 (Deckblatt)